Unser Gottesdienst – erklärt
Unser Gottesdienst – ERKLÄRT – Einführung - Teil 1
Eröffnung und Anrufung – Teil 2
Eröffnung und Anrufung – Amen – Teil 3
Tagesgebet oder Kollektengebet. – Teil 7
Abkündigungen oder warum wird von Geld geredet? – Teil 11
Fürbittengebet oder Das allgemeine Kirchengebet – Teil 12
Unser Gottesdienst – ERKLÄRT – Einführung - Teil 1
Liturgik ist die Lehre von der Liturgie. Unter Liturgie (griechisch: Dienst) verstehen wir den Gottesdienst als öffentlichen Dienst vor und für Gott, als Dienst am Nächsten und als gemeinsame, geordnete Feier der Christen.
Im Neuen Testament wird mit Liturgie sowohl der jüdische Tempelgottesdienst (Lk 1,23) als auch der Einsatz des Christenlebens für Christus und die Mitchristen (vgl. Phil 2,17 und 2. Kor 9,12) bezeichnet. Der Gottesdienst kann also verstanden werden als Inbegriff christlichen Glaubens und Lebens überhaupt und als Versammlung der christlichen Gemeinde im Namen Jesu.
Die Bezeichnung Liturgie für Gottesdienst setzt sich erst um 1700 in der lutherischen Kirche durch. Schon früh hat sich für den christlichen Gottesdienst am Sonntagmorgen ein Grundverlauf ausgebildet, eine Ordnung herausentwickelt. Diese erste Ordnung verbindet Verkündigungsteil und Abendmahlsteil. Später kamen dann noch ein eröffnender Anrufungs- und ein abschließender Sendungs- und Segensteil dazu. Charakteristisch für diese Grundform sind die liturgischen Gesänge. Diese Grundform bezeichnet man als „Mess-Typ“ und die Gottesdienstordnung G 1 in unserem Gesangbuch ab Seite 1145 wurzelt in diesem Typ.
Diese Gottesdienstform findet sich nicht nur bei den Lutherischen, sondern auch bei den anglikanischen, römischkatholischen und neuerdings auch im englischsprachigen Gottesdienst der Reformierten und der evangelischen Freikirchen. Somit ist diese Grundform G 1 ein Zeichen für ökumenische Gemeinschaft. Daneben hat sich im späten Mittelalter ein einfacher volkssprachlicher Predigtgottesdienst herausentwickelt, auf den unsere Grundform G 2 – im Gesangbuch ab Seite 1160 – fußt. Die Ablaufstruktur von G 1 und G 2 ist gleich und lässt sich wie folgt darstellen:
Eröffnung und Anrufung
Verkündigung und Bekenntnis
Abendmahl
Sendung und Segen
Die einzelnen Gottesdienstteile können in die obigen Kategorien jeweils eingeordnet werden.
Eröffnung und Anrufung – Teil 2
Nachdem die Glocken zum Gottesdienst gerufen haben (in Burghaig um 9.00 Uhr und um ca. 9.25 Uhr, das heißt wir läuten vor und der Gottesdienst beginnt um 9.30 Uhr), der Gottesdienstbesucher sich auf seinem Platz eingefunden hat, ist es Sitte, mit einem Stillen Gebet im Stehen im Haus Gottes anzukommen, bevor man Platz nimmt. Das Gesangbuch bietet unter Nr. 674 dazu Gebetsvorschläge, doch kann jeder selbst mit eignen Worten mit Gott das Gespräch aufnehmen.
Nun folgt die sog. „Eröffnung“ mit folgenden Einzelteilen: Musik zum Eingang (meist Orgelvorspiel), „Im Namen Gottes sind wir versammelt“, Gruß in liturgischer Form mit Begrüßung in freier Form. In diesen Elementen sollen die zum Gottesdienst Gekommenen erfahren, dass sie willkommen sind und mit dem, was sie bewegt, ernst genommen werden.
Zunächst wird klar gemacht, dass wir im Namen des dreieinen Gottes („des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“) versammelt sind. Damit wird gesagt, dass eigentlich Gott derjenige ist, der uns einlädt und dass wir zum Zweck des Gottesdienstes zusammengekommen sind. Es wird auch sofort deutlich, dass wir Christen an den trinitarischen Gott glauben.
Der nun folgende liturgische Gruß (lat. salutatio = Gruß) wird als Wechselgruß ausgeführt. Der Liturg spricht zur Gemeinde: „Der Herr sei mit Euch!“ Die Gemeinde antwortet: „und mit deinem Geist!“. Dies ist nicht nur ein Gruß zwischen Menschen, sondern dies stellt einen Zuspruch dar, der in seinem Segenswort die Gabe wirklich übermittelt, von der er spricht. Also dieser Zuspruch bringt wirklich die Gegenwart des auferstandenen Herrn Jesus Christus, seinen Frieden und sein Heil. Diese Gabe soll der Gottesdienstbesucher im Glauben annehmen. Dem Geist des Liturgen und Predigers wird ebenso die Gegenwart Jesu Christi zugesprochen, damit er in seinem Tun und Reden durch Gottes Hilfe zur Erbauung der Gemeinde tätig ist und z.B. die Predigt die Herzen und die Seelen der Menschen erreichen kann, damit der Glaube wächst und vertieft wird. Im mittelalterlichen, vorreformatorischen Gottesdienst war der Gebrauch des liturgischen Grußes inflationär, denn er wurde an 9 verschiedenen Stellen gesprochen. In unserem Gottesdienst in Burghaig und anderswo kommt er normalerweise zu Beginn und kurz vor dem Schlusssegen zur Anwendung, ein drittes Mal wird er im Abendmahlsgottesdienst zu Beginn er Abendmahlseinsetzung gesungen. Der liturgische Gruß kann also gesprochen oder gesungen werden, wobei als Regel gilt: Wenn das folgende liturgische Element gesprochen wird, wird auch der Gruß gesprochen. Wird das folgende liturgische Element gesungen (z.B. bei der Abendmahlsfeier), dann ist auch der Gruß zu singen.
Eröffnung und Anrufung – Amen – Teil 3
Nach der trinitarischen Begrüßung folgt eine freie Begrüßung mit Hinweisen auf den Gottesdienstverlauf und dann erklingt das Eingangslied. Dieses soll die Gemeinde sammeln und im Gesang zusammenführen. Deshalb ist es gut, wenn es leicht singbar ist und Mund und Herz öffnet zum Lob Gottes. Das Sündenbekenntnis (lat. Confiteor) oder Rüstgebet dient zur rechten Vorbereitung auf den Gottesdienst und auf die Begegnung mit Gott in seinem Wort. Es ist aber nicht als Reinigungszeremonie zu verstehen, die nötig wäre, um Gott nahe zu kommen. Der Christ bleibt nach Luther „iustus et peccator“ (Gerechtfertigter und Sünder zugleich) auch nach dem Sündenbekenntnis. Der ganze Gottesdienst ist für den Christen Sündenvergebung und Gnadenzuspruch.
Das Sündenbekenntnis endet in dem Ruf des Liturgen: “Gott sei uns Sündern gnädig!“ Die Gemeinde stimmt ein: „Der allmächtige Gott erbarme sich unser. Er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben. Amen.“ Darauf spricht der Liturg den Gnadenzuspruch, z.B.: „Gott hat sich über uns erbarmt und seinen Sohn gesandt, der für uns gestorben und auferstanden ist, damit wir Hoffnung haben……“. Oft schließt der Gnadenzuspruch auch mit einer Verheißung und einer Bitte: „Wer glaubt und getauft ist, der wird selig werden. Das gebe Gott uns allen.“
Die Gemeinde antwortet darauf mit „Amen“ (hebräischer Ursprung), was bedeutet: „gewiss“, „es steht fest“, „es ist wahr“, „so ist es“. Das Amen kommt mehrfach im Gottesdienst vor, entweder gesprochen oder gesungen. In der Regel spricht es die Gemeinde als Antwort, um eine liturgische Station abzuschließen. Die Gemeinde stimmt mit ihrem „Amen“ dem Geschehenen und Gehörten zu, bekräftigt und versiegelt es. Leider kommt in etlichen Gemeinden das „Amen“ nur sehr zögerlich oder wenig aus der Gemeinde. Es wäre eine echte Aufgabe, miteinander das „Amen“ an den richtigen Stellen wieder einzuüben und einzubringen.
Ein Introitus ist ein gesungener Psalm aus dem Alten Testament. Wir teilen mit dem Judentum bis heute das Buch der Psalmen als Gebetbuch.
Der Introitus leitete ursprünglich seit dem 7. Jahrhundert die römische Messe als Gesang ein und geht möglicherweise auf Papst Gregor I. zurück. Zuerst war er nur in den päpstlichen Gottesdiensten üblich und verbreitete sich von Rom aus über das ganze Abendland. Während die Priester und die Ministranten von der Sakristei durch das Kirchenschiff zum Altarraum einzogen, trug ein Chor einen Psalm gesungen vor. Dieser wurde bei erreichen der Plätze abgebrochen und durch einen lobpreisenden Ruf abgeschlossen. Dieser Abschluss heißt lateinisch „Gloria patri“ und lautet übersetzt: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, // wie im Anfang , so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen“. Der erste trinitarische Teil dieses Lobpreises wurde schon in frühester Zeit von den Christen immer zu den alttestamentlichen Psalmen hinzugefügt, um deutlich zu machen, dass wir die Psalmen im Geiste Christi beten.
Dem gebeteten Psalm vorangestellt ist die sogenannte „Antiphon“ (Leitvers), meist ein aus dem Psalm ausgewählter Vers, der das Thema angibt. Der Antiphon wird zu Beginn des Introitus gesungen, unmittelbar vor dem Gloria Patri und nach dem Gloria Patri, so dass sich folgende Reihung ergibt: Antiphon – Introituspsalm- Antiphon – Gloria patri – Antiphon. Da meist kein liturgischer Chor im Gottesdienst anwesend ist, kann der Introituspsalm im Wechsel zwischen Kantor/ Liturg und Gemeinde gesungen werden. In Burghaig singen wir die Introiten unter der Nummer 801 im Gesangbuch. 801.17 z.B. ist der Psalm 34, dieser wird vom 15.- bis zum 23. Sonntag nach Trinitatis und bei Danktagen gesungen. Bestimmte Psalmen sind also bestimmten Kirchenjahreszeiten zugeordnet. Die violett unterlegten Teile übernimmt jeweils die Gemeinde, die von der Orgel begleitet wird.
In unserer bayerischen Landeskirche sind meist 8 verschiedene Melodien = Psalmtöne in Gebrauch. Unter der Nr. 802 sind im Gesangbuch die noch älteren Introiten abgedruckt zur Gottesdienstordnung von 1856, welche alle nach einer einzigen Melodien gesungen = psalmodiert werden. Unter der Nr. 731 bis 797 finden wir im Gesangbuch weitere Psalmen und Introiten, welche gesprochen oder gesungen werden können, so dass nahezu jeder der 150 Psalmen aus dem Alten Testament in unseren Gottesdienst eingebracht werden können.
Bei den Introiten findet sich am Ende jeder Halbzeile ein Sternchen (=Astericus), welcher darauf hinweist, dass hier eine Atempause einzulegen ist. Leider wird diese Pause aber oft übergangen und erst dann eingehalten, wenn der Gesang vom Liturgen/ Pfarrer auf die Gemeinde wechselt. Also auch das Psalmodieren will gelernt und geübt sein. So bekommen diese einen meditativen Charakter, wenn wir sie ruhig und atemgeleitet singen.
Der griechische Ruf „kyrie eleison“ heißt auf deutsch:„Herr, erbarme dich!“ (kyrie ist der Vokativ = Anredeform von kyrios). In den heidnischen Religionen der Antike war „kyrie eleison“ ein allgemeiner Bittruf an die Gottheit, insbesondere an den Kaiser, der als Gottheit verehrt wurde. So wurde die Anrede „kyrios“ z.B. auf den Kaiser Caligula angewendet und auf Herodes den Großen, auch Kaiser Nero ließ sich diese Anrede gefallen. In der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, wird der Eigenname Gottes JHWH an 6156 Stellen mit „kyrios“ wiedergegeben. Dies rührt auch daher, dass das Judentum den Namen Gottes JHWH nicht aussprach, um den Namen Gottes gemäß des 2. Gebotes nicht zu missbrauchen, statt dessen Eigennamen Gottes wurde hebräisch: adonaj = griechisch: Kyrie gesprochen. Im NT wird die Kyrios-Anrede auf Jesus übertragen. „kyrios Jesus“ = Herr ist Jesus ist wahrscheinlich das älteste Glaubensbekenntnis der Christen. Mit diesem Ruf unterstellt sich die christliche Gemeinde ihrem Herrn und bekennt ihn damit auch als Weltherrscher und versteht dieses Bekenntnis zugleich auch als Absage an die göttliche Verehrung irdischer Herrschaft. Letzteres musste natürlich zu Konflikten mit dem römischen Kaiserreich führen. Jesus erhält somit dieselben Würdeprädikate wie Gott selbst. Im 4. Jahrhundert war es in der Jerusalemer Gemeinde üblich geworden, dass nach dem Fürbittengebet eine Reihe von Namen genannt wurde, in die eine Kindergruppe „kyrie eleison“ hineinrief. So wurde es zu einem sich wiederholenden Kehrreim eines großen litaneiartigen Fürbittgebets und im 5. Jahrhundert auch in der Westkirche heimisch. Daneben kam auch der Ruf „Christe eleison“ = „Christus, erbarme dich“. Meist wurden die Namen von Mitschwestern und –brüdern genannt, die wegen ihres Glaubens an den Kyrios Jesus Christus Verfolgungen ausgesetzt waren und deshalb die besondere Fürbitte der Gemeinde brauchten. Die Fürbitten wurden im Laufe der Zeit gekürzt und konnten auch ganz wegfallen. Die Anzahl der Kyrierufe war ursprünglich nicht festgelegt und wurde schließlich auf die Trinität ausgerichtet, so dass es zur Dreizahl kam: „kyrie eleison, christe eleison, kyrie eleison“. Im lutherischen Gottesdienst wird dies im Wechsel zwischen Liturg und Gemeinde auch im Wechsel zwischen griechischer und deutscher Sprache gesungen. Es folgt unmittelbar nach dem Eingangslied und dem Eingangspsalm (Introitus) und erfüllt damit seine ursprüngliche Aufgabe, der umfassende Gebetsruf aus der Tiefe aller menschlichen und kreatürlichen Not zu sein. Es kann zudem auch mit konkreten Gebetsanliegen als entfaltetes Kyrie durchgeführt werden. Ebenso ist es auch als Gebetsruf im Fürbittengebet im Schlussteil des Gottesdienstes zu finden.
Das Gloria (lateinisch: Ehre) ist ein nach Art der Psalmen gedichteter Hymnus und stellt eine Fortführung des Engelgesangs aus der Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2,14 dar. Die himmlischen Heerscharen singen vor den Hirten auf den Feldern von Bethlehem: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Luther übersetzte nach anderer Überlieferung „…und den Menschen ein Wohlgefallen“. Nach dieser alten Lutherversion singen auch wir im Gottesdienst unser Gloria. Für mich ist es eine schöne Vorstellung, dass wir in jedem Gottesdienst mit diesem Gloriagesang zurückerinnert werden an diesen damals himmlischen Gesang der Engel am Geburtstag Jesu und wir diesen Freudengesang sozusagen an jedem Sonntag wiederholen. Das Gloria soll an Sonn-, Feier- und Danktagen gesungen werden; es entfällt aber vom 2.-bis 4. Advent und in der Fastenzeit. An hohen Feiertagen singen wir das Große Gloria (EG Nr. 180.1), welches eine Lobpreisung Gottes des Vaters, eine Anrufung Jesu Christi bringt und mit der Verherrlichung des dreieinigen Gottes abschließt. An das Gloria schließt sich das so genannte Glorialied (EG 179) an. Meist wird nur die 1. Strophe davon gesungen, was eigentlich eine inhaltliche Doppelung darstellt. Das Lied 179,1 wird in der Regel nicht an der Liedertafel angeschlagen, da es fast jeden Sonntag gesungen wird und von vielen auswendig beherrscht wird.
Tagesgebet oder Kollektengebet – Teil 7
Das Tagesgebet trägt auch die Bezeichnung Kollektengebet und beschließt den Eingangsteil (Eröffnung und Anrufung) des Gottesdienstes. Das Gebet soll nach dem Gottesdiensteingang die Gemeindeglieder sammeln (Lateinisch collectio: Sammeln). Das Tagesgebet bezieht sich oft auf das Thema und Leitbild des Sonntages und hat folgende Struktur: a) Einladende Aufforderung (z.B. Lasst uns beten), worauf sich die Gemeinde erhebet; b) Anrede (z.B. Allmächtiger Vater); c) Aussage über Gottes Heilswirken (z.B. du hast deinen Sohn zum Licht der Welt gemacht); d) Bitte in der Wir-Form um eine bestimmte Gabe, welche sich auf die Aussage über Gottes Heilswirken bezieht (z.B. wir bitten dich, erfülle die ganze Erde mit seinem Glanz); e) Folgesatz mit Zielformulierung (z.B. damit alle Menschen deine Herrlichkeit erfahren); f) Abschluss mit Berufung auf Jesus Christus, verbunden mit trinitarischem Lobpreis (z.B. das erbitten wir in Jesu Namen, der mit dir und dem heiligen Geist lebt und regiert in Ewigkeit); G) Amen, von der Gemeinde gesprochen, die also dem Gebet zustimmt.
Das Tagesgebet / Kollektengebet sollte immer prägnant und kurz gehalten werden, wie es seiner abschließenden und zusammenfassenden Funktion entspricht.
Für weitere Gebetsanliegen steht ja das Fürbittengebet nach der Predigt zur Verfügung. Inhaltlich können im Kollektengebet das Thema des Sonntages oder Aussagen aus der biblischen Lesung oder Gedanken der Predigt bereits anklingen. Wichtig ist auch, dass Punkt f) Abschluss mit Berufung Jesus Christus vorkommt, denn dann weiß die Gemeinde: „Jetzt ist gleich unsere Zustimmung verlangt und wir antworten: Amen“.
Die Lesungen aus der Heiligen Schrift bilden einen zentralen Bestandteil des christlichen Gottesdienstes. Bevor das neue Testament vorlag, war die Lesung alttestamentlicher Schriften fester Brauch bei der Mehrzahl der Gemeinden, die oft aus der synagogalen Tradition hervorgewachsen sind. Insbesondere auch die atl. Weissagungen wurden nach dem Schema Verheißung-Erfüllung auf das Geschick Jesu gedeutet. Daneben wurden mündliche Berichte der Taten Jesu und die Briefe der Apostel zu Gehör gebracht. Die Briefe des Apostel Paulus sind die ältesten Schriften des Neuen Testamentes und ab dem Jahr 50 n.Chr. entstanden. Ab dem 2. Jahrhundert stand allmählich fest, welche weiteren Schriften zum Neuen Testament dazugehörten und es bildet sich zusehends eine Leseordnung mit 4 Lesungen im Gottesdienst heraus: Gesetz (AT) – Propheten (AT) – Epistel (=Briefe) – Evangelium (NT). So wie man im jüdischen Gottesdienst die Heilige Schrift in Gesetz und Propheten aufteilte, so wurde in der christlichen Kirche das Neue Testament in Epistel und Evangelium aufgeteilt. Die alttestamentliche Lesung wurde im Laufe der Zeit unter die Epistel eingeordnet.
Das Evangelium wird aus zwei Gründen immer erst nach der Epistel gelesen: die Epistel sind meist älter und das unmittelbare Wort Jesu aus den Evangelien soll als Höhepunkt der Lesungen am Schluss erscheinen. Im Laufe der Jahrhunderte gab es unterschiedliche Zusammenstellungen von Lesungen in sog. Leseordnungen oder Perikopenordnungen (perikope = die herausgeschnittene Lesung), daneben gab es auch den Brauch der fortlaufenden Lesung (lectio continua). Im Mittelalter wurden die Lesungen lateinisch vorgetragen. Die Reformation hielt an der Unterteilung in Epistel und Evangelium fest, jedoch erfolgte nun die Verlesung in der Landessprache (im Lektionston gesungen). Die Hörbarkeit und Verständlichkeit der biblischen Texte war oberstes Gesetz.
Im Laufe der Zeit verlor der Bibeltext seine Eigenständigkeit als Lesetext und wurde gänzlich auf seine Bedeutung für die Predigt funktionalisiert. In der lutherischen Liturgiereform 1954 wurde deshalb die liturgische Funktion des Lesetextes wieder betont und am Grundsatz der doppelten Schriftlesung festgehalten. Zum 1. Advent 1978 wurde schließlich eine neue Leseordnung eingeführt. Die Bibeltexte dieser Leseordnung finden sich im Lektionar (lat. Buch der Lesungen) abgedruckt, aus welchen sie die Kirchenvorsteher im Gottesdienst vorlesen. Die alttestamentliche Lesung kann an die Stelle der Epistel treten. Muss aus zwingenden Gründen eine Schriftlesung im Gottesdienst entfallen, dann sollte auf alle Fälle das den Sonntag prägende Evangelium gelesen werden. Die biblischen Texte sind in 6 Reihen aufgeteilt, wobei in Reihe 1 sich immer das den Sonntag prägende Evangelium findet. In Reihe 2 steht dazu die Epistel. In Reihe 3 bis 6 finden sich mehrheitlich neutestamentliche, aber auch alttestamentliche Texte. Momentan wird über die Reihe 2 gepredigt. Wenn 6 Jahre vergangen sind, dann predigt man also wieder über dieselbe Reihe und denselben Text.
Die Lesungen der Epistel und des Evangeliums werden jeweils mit einer knappen Ansage (Name des Sonntags, biblisches Buch und Kapitelangabe, keine Versangabe) eingeleitet. Der Lektor liest nun den Text aus dem Lektionar vom Lesepult aus und beendet die Evangeliums-Lesung mit dem Spruch „Ehre sei dir, Herr“. Die Gemeinde antwortet mit dem kurzen Gesang: „Lob sei dir, Christus!“ Auf die Lesung der Epistel antwortet die Gemeinde hingegen mit einem 3-maligen „Halleluja-Ruf“.
Zwischen der Epistel- und der Evangeliumslesung wird das so genannte Wochenlied gesungen, das meist zu den Lesungen und zum Thema des Sonntages stimmig ist. Wenn Sie die jeweiligen Lesungen, Wochenlieder und Wochensprüche wissen wollen, dann schlagen Sie doch einfach einmal ihr Gesangbuch ab der Seite 1588 „Liturgischer Kalender“ auf.
In unserer Liturgie folgt auf die Lesung des Evangeliums das Glaubensbekenntnis. Zwei verschiedene Glaubensbekenntnisse sind bei uns gebräuchlich. Das so genannte Apostolicum und – insbesondere an Festtagen – das so genannte Nicaeno-Constantinopolitanum. Diese beiden Glaubensbekenntnisse bilden zusammen mit einem weiteren – dem so genannten Athanasium – die drei großen Glaubensbekenntnisse der Alten Kirche. Diese drei sind für fast alle christlichen Kirchen verbindlich, weshalb sie auch ökumenische Symbole genannt werden.
Neben der Heiligen Schrift und der Tradition bildete sich im ausgehenden 2. Jahrhundert das Glaubensbekenntnis als fundamentale Größe für die Lehre der Kirche heraus. Am Anfang standen einzelne Bekenntnisformeln, die sich schließlich zu längeren Bekenntnissen verbanden. Eines der ältesten Bekenntnisse aus der Mitte des 2. Jahrhunderts ist das so genannte Romanum, ein altes römisches Taufbekenntnis. Unser häufig gesprochenes Apostolicum geht auf dieses Romanum zurück. Die Glaubensbekenntnisse haben ihren Entstehungsursprung im Taufgeschehen. Der zuvor unterrichtete Taufbewerber bekannte bei seiner Taufe seinen Glauben bzw. wurde nach seinem Glauben mit einzelnen Fragen gefragt und antwortete mit Formulierungen aus dem Glaubensbekenntnis. Bei der Taufe kann aber natürlich nur ein Bekenntnis rezitiert werden, wenn der betreffende Täufling zuvor über diesen Glauben unterrichtet worden war. Das Glaubensbekenntnis war also die formelhafte Zusammenfassung des christlichen Glaubens und fungierte als Richtschnur für den zu haltenden Taufunterricht. Glaubensbekenntisse wurden auch notwendig, um gewisse Irrlehren aus dem christlichen Glauben fernzuhalten. Man bekannte, was man glaubte und schied damit Dinge aus, die man nicht glaubte und nicht rechtgläubig waren. Unsere Glaubensbekenntnisse machen also deutlich, was bei uns gilt und was nicht gilt. So heißt es im Nicaeno-Constantinopolitanum (EG S. 1151) über Jesus „wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt und nicht geschaffen“, um deutlich zu machen, dass Gott wirklich Mensch geworden ist und ebenso, dass Jesus zugleich göttliche und menschliche Natur hat, dass er kein Geschöpf ist wie ein Baum. Es gab nämlich Irrlehrer, die glaubten, Jesus ist nicht wirklich göttlicher und menschlicher Natur zugleich, sondern ein Geschöpf, freilich das erste und wichtigste Geschöpf Gottes. Wenn aber Jesus Geschöpf und nicht wahrhaft Gott ist, dann kann er uns auch nicht vollgültig retten und erlösen.
In neuerer Zeit wurde v.a. auch die Barmer Erklärung von 1934 als Bekenntnis wichtig (siehe EG S. 1577), in welcher bekennende Christen deutlich machten, dass Jesus Christus die alleinige Richtschnur und Orientierung für uns Christen sein kann, er ist das“eine Wort Gottes“, dem wir zu gehorchen haben. Andere Ereignisse, Mächte, Gestalten und Wahrheiten können wir nicht als Gottes Offenbarung anerkennen.
Es gehört wesenhaft zu unserem Christsein dazu, dass wir bekennen , was wir glauben und hoffen und nicht damit hinter dem Berg halten. Wir tun diese jeden Sonntag im Gottesdienst im Sprechen des Glaubensbekenntnisse und im Alltag, wenn andere an uns erkennen ,„wes Geistes Kind wir sind“ in unserem Tun und Lassen.
Die Predigt gehört zu den zentra len Bestandteilen des evangeli schen Gottesdienstes. Predigt stammt von dem lat. Wort praedicatio: Aussage, Auszeich nung, Preisung. In der lutherischen Bekenntnisschrift Confessio Augustana heißt es in Artikel 5: „Um diesen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, das Evangelium und die Sakramente gegeben, durch die er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, der den Glauben, wo und wann er will, in denen, die das Evangelium hören, wirkt, das da lehrt, dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, wenn wir das glauben.“
Die Predigt als Verkündigung des Wortes Gottes durch Auslegung eines vorgegeben biblischen Textes vor der versammelten Gemeinde war schon in der vor christlichen Synagoge selbstverständlich. Die Verkündigung Jesu war nicht nur Auslegung eines vorgegebenen Textes und wendete sich nicht bloß an eine geschlossene Gemeinde, sondern war das einzigartige und vollmächtige Wort des menschgewordenen Gottessohnes an alle. Die Predigt der Apostel baute auf der Botschaft Jesu und der Tatsache seines Erlösungswerkes (Tod und Auferstehung) auf und war an alle Welt gerichtet. So wurde Jesus Christus – sein Leben, seine Verkündigung, sein Sterben und Auferstehen – selbst zum Inhalt der Verkündigung.
Predigen ist immer missionarische Predigt, durch die alle Menschen zur Umkehr, zum Glauben und zur Taufe gerufen werden. Daneben stand immer auch die Predigt als erklärende und stärkende Predigt an alle, die durch ihre Taufe und ihren Glauben zur Gemeinde Jesu Christi gehören. Auch der getaufte Christ muss immer wieder vom Unglauben zum Glauben gerufen werden. Luther steht ganz in der Linie des Apostels Paulus: „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.“ (Römer 10, 17). Die Verkündigung des Evangeliums redet nicht nur von der Versöhnung mit Gott, sondern bringt diese Versöhnung.
Der Text, über den zu predigen ist, ist in einer Ordnung festgelegt. Auf einen Turnus von 6 Jah ren wurden alle relevanten Texte verteilt. Predigtreihe I und II entsprechen den altkirchlichen Evangelien und Episteln, Reihe III und V brachten vor allem Evangeliumstexte, Reihe IV und VI besonders briefliche Texte, die dem Gesamtcharakter des jeweiligen Tages entsprechend ausgewählt wurden. Außerdem wurde in den Reihen III-VI ein Viertel alttestamentliche Texte untergebracht. Nach 6 Jahren wird wieder mit Predigtreihe I begonnen.
Ziel der Predigt ist es, das Evangelium mit der konkreten Situation der versammelten Hörer zusammenzubringen und in diese hinein sprechen zu lassen. Der Predigt voraus geht der Kanzelgruß (Römer 1, 7b; 2. Kor 13,13; Offenbarung 1, 4b: „Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt“) mit dem Amen der Gemeinde. Ein Gebet in der Stille um den Segen des Wortes ist möglich. Dann folgt die Ansage und Verlesung des Predigttextes mit dem Schlussvotum: „Der Herr segne an uns dies Wort“ oder Ähnliches. Nach der Predigt folgt der Kanzelsegen: „ Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!“ (Philipper 4,7) mit dem Amen der Gemeinde. Das anschließende Predigtlied wird vom Prediger und vom Inhalt der Predigt her bestimmt.
In der römisch-katholischen Kirche hat die Predigt nicht den gleich hohen Stellenwert wie in der evangelischen Kirche. Seit dem frühen Mittelalter unterbleibt in der Regel die Predigt im Gottesdienst der Ostkirche. Wie wir auf der Griechenlandfahrt erfahren haben, muss in einem griechisch-orthodoxen Gottesdienst nicht zwingend gepredigt werden.
Abkündigungen oder warum wird von Geld geredet? – Teil 11
Als Jugendlicher war ich immer sehr verwundert, dass im Gottesdienst endlose Geldbeträge vorgelesen werden: was im Klingelbeute und in der Kollekte war; alle Spenden anlässlich von Geburtstagen , Taufen, Trauungen und Bestattungen mitsamt Zweckbestimmung. Wieso wird im Gottesdienst vom Geld gesprochen? Ist das nicht unmöglich?
Heute weiß ich, dass dies vor allem zur Entlastung der Spendenempfänger geschieht. Es geht um Transparenz; es geht darum, dass die Gabe wirklich im Pfarramt angekommen ist und nicht irgendwo verschwunden ist oder verlegt wurde. Von Anfang an hat der Apostel Paulus für die Armen in Jerusalem – für die Jerusalemer Urgemeinde – Geld zur Unterstützung auf seinen Missionsreisen gesammelt, um die Solidarität der Christen untereinander zu leben und zu verdeutlichen. Um keine Einzelbeträge nennen zu müssen, haben wir die Beträge zusammengefasst und die Einzelheiten hängen im Schaukasten aus. Zum gesammelten Geld muss man noch Folgendes wissen:
Die Einlagen im Klingelbeutel bleiben grundsätzlich in der eigenen Gemeinde zur Finanzierung der gottesdienstlichen Auslagen (Kerzen, Reinigung, Heizung, Orgelstimmung usw.)
Die Einlagen in den Büchsen am Ausgang (Kollekte) sind für wechselnde Zwecke bestimmt, die der Kirchenvorstand in einem Beschluss zum Kollektenplan am Ende des Vorjahres festlegt. Es gibt Pflichtkollekten, für die in ganz Bayern am gleichen Sonntag gesammelt wird (z.B. Diakonie), es gibt Wahlpflichtkollekten, bei denen sich der Kirchenvorstand aus 3 Vorschlägen der Landeskirche für einen entscheiden muss. Es gibt Wahlkollekten, bei denen der Kirchenvorstand frei wählen darf (z.B. Evangeliumsrundfunk; Missionarsfamilie Lokudu; eigene Gemeinde). Die jeweilige Zweckbestimmung wird immer bei den Abkündigungen angesagt.
Aber das Geld ist nicht das Zentrum der Abkündigungen, sondern hier soll das Gemeindeleben zur Sprache kommen und die Ereignisse, die unsere Schwestern und Brüder betreffen: Wurde jemand getauft, hat jemand geheiratet, wurde jemand heimgerufen? Mit einem kurzen Gebetsruf denken wir dann an alle die Menschen, die durch diese Ereignisse unmittelbar oder mittelbar betroffen sind.
Im Nachrichtenblock wird auf besondere Veranstaltungen hingewiesen und eingeladen.
Es ist eine Kunst, die Abkündigungen nicht endlos, aber auch aussagekräftig sein zu lassen. In unserer Gemeinde lesen meist die aktuellen Konfirmanden die Abkündigungen, um ihnen eine aktive Mitwirkung zu ermöglichen. In der evangelisch-lutherischen Kirche werden die Abkündigungen in der Regel nach dem Predigtlied verlesen, in der katholischen Kirche heißen sie „Verlautbarungen“ und stehen kurz vor der Entlassung und dem Schlusssegen.
Die Abkündigungen schließen mit dem Segenswunsch für die ganze Gemeinde: „Der dreieine Gott segne unsere Gemeinde in all ihren Gliedern nach dem reichtum seiner Gnade. Amen“
In der nächsten Ausgabe beschäftigen wir uns mit dem Fürbittengebet.
Fürbittengebet oder Das allgemeine Kirchengebet – Teil 12
Das Fürbittengebet ist ein Gebet für „andere“. An der Schwelle vom Wortteil des Gottesdienstes zum Sakramentsteil (Abendmahl) des Gottesdienstes steht seit alters her ein zweigeteiltes Gebet. Unmittelbar an die Predigt schloss sich die Fürbitte für die Katechumenen an, d.h. für die noch nicht getauften Gottesdienstbesucher. Diese mussten nämlich vor dem Abendmahl den Gottesdienst verlassen. Für die im Gottesdienst verbliebenen Getauften wurde das Oratio fidelium (Gebet der Gläubigen) gesprochen. In diesem Fürbittengebet wurden die vielfältigen Anliegen der Gemeinde in der Welt angesprochen. Für die reformatorischen Gottesdienstordnungen ergab sich das allgemeine Kirchengebet als eine innere Notwendigkeit: Dem Wort Gottes in der predigt musste die Antwort der betenden Gemeinde folgen. Die Formen der Fürbittengebete waren seit der Reformation sehr verschieden: Vaterunser-Paraphrase, Litanei, um fassendes Fürbittengebet. In der Zeit des Pietismus und der Aufklärung wurde das Allgemeine Kirchengebet unmittelbar auf die Predigt bezogen, als eine an Gott gerichtete Wiederholung der Predigtgedanken. Auch heute noch greifen Pfarrer und Pfarrerinnen in Fürbittengebeten Gedankengänge aus der Predigt noch einmal auf und bringen sie vor Gott. Die momentan gültige lutherische Agende bietet drei Ausführungsmöglichkeiten des Allge meinen Kirchengebetes (Fürbitten gebetes) an:
a)Prosphonese („Anrede“): Der Liturg spricht zum Altar gewandt alleine in einem Zug das Gebet, dass aus mehreren Anliegen zusammengestellt ist. Das Gebet wird eingeleitet mit: “Lasst uns beten!“ und die Gemeinde schließt das Gebet mit „Amen“ ab.
b)Ektenie („ausbreiten“: ausgebreitete Hände oder vor Gott ausgebreitete Bitten?): Der Liturg nennt die einzelnen Gebetsanliegen, die von der Gemeinde nach der jeweiligen Aufforderung „Lasst uns den Herrn anrufen!“ aufgenommen werden mit dem Ruf „Herr, erbarme dich!“ Dieser Ruf kann auch begleitet von der Orgel gesungen werden. Den Abschluss bildet eine gesprochene Kollekte (ein in eine bestimmte knappe Form gefasstes Gebet)/ ein Lobpreis des Liturgen mit dem „Amen“ der Gemeinde.
c)Diakonisches Gebet: Der Lektor nennt vom Lesepult aus zur Gemeinde gewendet abschnittsweise die Gebetsanliegen; der Liturg am Altar nimmt nach jedem Abschnitt die Gebetsanliegen in der Form eines Kollektengebetes aus, die Gemeinde schließt nach jedem Gebetsabschnitt mit „Amen“
Bei der Überarbeitung der Liturgie entwickelte sich auch noch eine weitere Fürbittengebetform, das sog. Wechsel gebet. In diesem sprechen 2zwei Sprecher abwechselnd, z.B.:
I: Wir bitten für die Menschen, die in Feindschaft miteinander leben.
II: Herr, mache sie bereit zur Versöhnung.
Weiterhin können in das Allgemeine Kirchengebet Phasen der Stille mit Gelegenheit zum Stillen Gebet eingebaut werden. Außerdem kann das Fürbittengebet grundsätzlich auf mehrere Spreche aufgeteilt werden, so wie wir es oft bei Familiengottesdiensten praktizieren.
Ein festes Schema kann im Fürbittengebet zu Grunde gelegt werde;
1. Abschnitt: Fürbitte für die Kirche (Arbeit; Amtsträger, Glieder); 2. Abschnitt: Fürbitte für die öffentliche Ordnung im Lande (Regierende, Familie, Ernte, Frieden); 3. Abschnitt: Fürbitte für die Notleidende (Bedrängte, Kranke, Verfolgte, Sterbende); 4. Abschnitt: Bitte um Sündenvergebung. Für außerordentliche Anliegen können Einschübe vorgenommen werden. Es gibt vorformulierte Fürbittengebet und Gebetsvorschläge, jedoch formulieren Pfarrer / Pfarrerin oft das Fürbittengebete selbst in Zuschnitt auf den konkreten Gottesdienst. Bei der Neuformulierung ist darauf zu achten, dass Gott im Gebet nicht „angepredigt“ wird. Findet kein Abendmahl statt, folgt nun unmittelbar das Vaterunser.
Das Vaterunser ist in zwei Fassungen überliefert, einer längeren in Mt 6,9-13 und in einer kürzeren in Lk 11,2-4. Es wird auch Herrengebet genannt und ist direkt auf den historischen Jesus zurückzuführen. Die aramäische Urform – Aramäisch war die Sprache Jesu – ist in einzelnen Formulierungen noch erkennbar. Der eigene Gebetsritus kennzeichnet eine religiöse Gruppe und so ist zu folgern, dass Jesus das Vaterunser als Formular vorgibt, das seine Jünger zusammenschließen soll. Die Anrede Vater – wohl ursprünglich aramäisch „abba“ = Papa – soll den betenden Jüngern Anteil am Gottesverhältnis Jesu geben. Der doxologische (=rühmende) Schluss (denn dein ist das Reich …) fehlt in den ältesten Textzeugen, jedoch ist das so zu erklären, dass ursprünglich dem einzelnen Beter der rühmende Schluss zur eigenen, freien Formulierung überlassen wurde. Bereits in einer Gemeindeordnung aus dem 2. Jahrhundert findet sich der heutige, gebräuchliche doxologische Schluss. Das Vaterunser wurde alsbald mit dem Abendmahl verknüpft und wurde ursprünglich nur von den Gläubigen gebetet Die Katechumenen (die, die unterrichtet wurden und sich auf ihre Taufe vorbereiteten) durften das Vaterunser nicht mit beten, denn am Abendmahl durften nur getaufte Gemeindeglieder teilnehmen. Im reformatorischen Gottesdienst wurde das Vaterunser entweder vor die Einsetzungsworte als Rüst- und Tischgebet gestellt oder es kommt zwischen den Einsetzungsworten und der Austeilung des Abendmahles zu stehen. Ursprünglich wurde es immer als Stück der Sakramentsliturgie empfunden. In dem Maße, in dem der Hauptgottesdienst reiner Predigtgottesdienst wurde, setzt sich auch die Übung durch, die das Vaterunser als Bekräftigung und Krönung der Fürbitten im Allgemeinden Kirchengebet verstand. Das Vaterunser kann auch vom Liturgen gesungen werden, wobei die Doxologie am Schluss immer von der Gemeinde gesungen wird. Das Vaterunser ist für uns ein besonders heiliges Gebet, da es vom Herrn selber stammt. Im Gottesdienst drücken wir dies auch durch das Läuten der Gebetsglocke während des Vaterunsers aus. Es gibt kaum eine gottesdienstliche Feier, in der das Herrengebet nicht gebetet würde. Andererseits ist das Vaterunser aber auch einer der größten „Märtyrer“, denn oft wird es gedankenlos so dahin gebetet. Doch jede einzelne Zeile, jede Bitte enthält geballte theologische Aussagen, nicht umsonst hat es Jesus eingeführt als die Art und Weise, wie seine Jünger und Jüngerinnen beten sollen.
Nach dem Vaterunser, das gewöhnlich stehend gebetet wird, folgt der Schlussteil des Gottesdienstes. Der nun folgende liturgische Gruß (lat. salutatio = Gruß) wird als Wechselgruß ausgeführt, in der Regel gesungen und erfolgt ebenfalls im Stehen. (Vgl. Eingangsteil des Gottesdienstes als gesprochener Gruß) Der Liturg singt zur Gemeinde: „Der Herr sei mit Euch!“ Die Gemeinde singt von der Orgel geführt: „und mit deinem Geist!“. Nun schließt sich ein weiterer Wechselgesang an, die sogenannte Benedeiung. Der Liturg singt:“Lasset uns benedeien den Herrn!“ und die Gemeinde antwortet singend: „Gott sei ewiglich Dank!“ Bei Abendmahslgottesdiensten lautet der gesungene Text für den Liturgen:“Gehet hin im Frieden des Herrn!“ Diese Textversion des Abendmahlsgottesdienstes hat sich aber mittlerweile zur Normalform entwickelt, wie dem Gesangbuch zu entnehmen ist. Mit der Benedeiung geben Liturg und Gemeinde Gott die Ehre. Laut liturgischer Ordnung gilt: Ist ein Schlussgesang vorgesehen, so soll dieser nicht nach dem Segen eingeordnet werden. Nach dem Motto:“Der Segen ist im Gottesdienst letztes Wort!“. Freilich hat sich in manchen Gemeinden die Tradition eingebürgert, erst nach dem Segen das Schlusslied zu singen. Laut Evangelischem Gesangbuch sind Lieder zum Ausgang möglich, meist sind dies jedoch nur kurze Liedrufe. Davon unterschieden werden ausführlichere Segenslieder, die auch laut Gesangbuchordnung vor dem Segen zu singen sind. Für den nun folgenden Segen gilt das über die Salutation Gesagte: Gruß und Segen sind nicht bloße Worte, sondern übermitteln im Zuspruch wirklich die Gabe, von der sie sprechen. Der Segen steht im Gottesdienst im spezifischen Sinn immer am Ende einer Handlung, am Ende der Predigt, am Ende des ganzen Gottesdienstes. Der Segen wird gleichsam auf der „Schwelle eines Abschieds gesprochen und entlässt die Gesegneten in eine neue Situation hinein, in eine neue Aufgabe hinein. Meist wird der sogenannte Aaronitische Segen gesprochen (4. Mose 6, 24-26), dieser wurde von Luther in den evangelischen Gottesdienst eingeführt. Aaron war der Bruder von Mose und Priester. Der aaronitische Segen wird von Gott an Mose mitgeteilt. Diese Segensworte sollen Aaron und die israelitischen Priester über das Volk sprechen. Beim Segen ist Gott der Handelnde und nicht der Pfarrer. Seit dem Mittelalter kennt man den trinitarischen (dreieinen: Vater, Sohn und Hl. Geist) Segen, der ebenfalls auf den Aaronsegen als biblische Wurzel zurückgeht. Der Segen kann durch sichtbare Zeichen begleitet sein: bei Einzelnen durch Handauflegung oder bei der Gemeinde mit erhobenen Händen und dem Kreuzzeichen. Diese äußeren Zeichen fügen nichts Weiteres zum Segen hinzu, sondern sie machen nur sichtbar, was im Geist und gesprochenen Wort geschieht. Es geht also um Verleiblichung und Konkretisierung. Die Gemeinde antwortet mit einem gesprochenen oder gesungenen Amen. Nach dem Segen nutzen manche noch die Möglichkeit zu einem stillen Gebet. Der Gottesdienst schließt mit einem Orgelnachspiel oder anderweitiger Musik. Ende der kleinen Reihe.
Holger Fischer, Pfarrer
Bei der Erstellung wurde folgende Literatur verwendet und eingearbeitet:
F. Kalb: Grundriss der Liturgik, München 3-1985.
K. Galling (Hrsg.): RGG, Bd. 1-7, Tübingen 3-1986.
Kirchenleitung der VELKD: Evang. Gottesdienstbuch – Ergänzungsband, Berlin 2002